Die frischen Blätter des Spitzwegerichs nutzten Forschungen zu Folge vermutlich bereits die Steinzeitmenschen als Wundheilmittel, indem sie sie zu Brei zerdrückten oder zerkauten und als Pflaster auf Wunden, Geschwüre oder Entzündungen legten.

Heute verwendet man den frischen Saft oder eine Tinktur aus Spitzwegerich, um beispielsweise bei Insektenstichen die Schwellung und den Juckreiz zu mildern. Der Spitzwegerich beinhaltet neben Schleim- und Gerbstoffen nämlich das Iridoidglykosid Aucubin, das antibiotische, entzündungshemmende sowie reizmildernde Eigenschaften aufweist. Es wird jedoch bei unsachgemäßer Trocknung oder Aufbewahrung des Spitzwegerichs zersetzt und bleibt nur bei sorgfältiger Extraktion erhalten. Aus diesem Grund wirken die frisch zubereiteten Arzneien am besten antiobiotisch und entzündungshemmend.

Schon zu Zeiten der Römer

Bereits in der Naturgeschichte des römischen Gelehrten Gaius Plinius Secundus (23/24 –79) und in der Materia medica des griechischen Arztes Pedanios Dioskurides (um 1. Jh.) finden sich Wegerich-Arten als Heilpflanzen. Auch im Mittelalter wusste man um die Heilkraft dieses Krautes. Im Kräuterbuch des Leonhard Fuchs (1501–1566) von 1543 steht geschrieben:

»Der safft von den blettern ist gut zu der mundfeule / so man den mundt zum offtermal im tag darmit wäscht. In die fistel gethan / heylet er dieselbigen. Er ist auch seer bequem den keichenden gegeben / und denen so den fallenden siechtagen haben. In die ohren gethan / nimpt er hinweg jhren schmertzen. In die augen gethan / leschet er die hitz derselbigen. Dienet auch wol denen so das zanfl eysch blutet / und stäts blut außspeien.«

Kräuterbuch des Leonhard Fuchs (1501–1566) von 1543

Bei entzündlichen Prozessen

Demzufolge wendete man ihn bei entzündlichen Prozessen im Mund aber auch bei Ohren und Augenschmerzen sowie Atembeschwerden an. Sogar Epilepsie, Malaria oder Bisse von tollwütigen Hunden sollten nach dem damaligen Verständnis mit Spitzwegerich geheilt werden können. Eine Abbildung des Spitzwegerichs findet sich auf dem Isenheimer Altar. Im Auftrag des Antoniterklosters von Isenheim bemalte Matthias Grünewald (um 1470 –1528) um 1512/14 drei Schauseiten eines Altars, den man dem heiligen Antonius (um 251–356) widmete und der für die Kapelle des Antoniterhospitals gedacht war.

Mutterkornvergiftung

Eine Schautafel gibt eine im Mittelalter weit verbreitete Krankheit, die Mutterkornvergiftung (Ergotismus) – auch ‘Antoniusfeuer’ oder ‘Kriebelkrankheit’ genannt – wieder. Es handelt sich hierbei um eine Vergiftung durch Mutterkornalkaloide. Sie tritt auf, wenn mit Mutterkorn verunreinigtes Roggenmehl verzehrt worden ist. Im Verlauf der Erkrankung sterben zunächst die kleineren Gefäße in Händen und Füßen ab, was zu dem typischen Kribbeln führt. Es resultieren Entzündungen und im späten Stadium sterben die Extremitäten ganz ab. Zudem kommt es zu Halluzinationen, da im Mutterkorn sogenannte Lysergsäurederivate enthalten sind – eine bekannte Abwandlung davon ist die Droge LSD.

Im Mittelalter suchten Kranke oftmals Schutz und Unterkunft bei Mönchen, so auch bei den Antonitern. Dort bekamen sie nun anstelle von Roggenbrot Weizenbrot zu essen, das keine Wirtpflanze für Mutterkorn darstellt. Als Schutzpatron galt hier der heilige Antonius, der durch die Verteilung von Weißbrot die Kranken indirekt heilte. Die Antoniter verwendeten zur akuten Bekämpfung des ‘Antoniusfeuers’ bestimmte Heilkräuter, die Grünewald auf dem Gemälde zu den Füßen des heiligen Antonius und dem Eremiten Paulus wiedergegeben hat. Sicher identifizierbar sind der erwähnte Spitzwegerich, Breitwegerich, Eisenkraut, Kreuzenzian, drei Süßgräser sowie die Bartflechte, die im Mittelalter als Heilmittel gegen das Antoniusfeuer verwendet worden sind.

Mutterkorn wächst auch heute noch als Dauerform des Pilzes Claviceps purpurea auf Roggen, wird jedoch vor dem Mahlen der Roggenkörner mechanisch abgetrennt. Aus diesem Grund kommen Mutterkornvergiftungen heute nur noch selten vor.

Traditionelle Verwendung

Der Spitzwegerich wird ferner seit langem traditionell angewendet. Wendet man ihn frisch an, so soll er sogar die Selbstheilungskräfte fördern. Dazu setzt man den sogenannten ‘Erdkammer-Sirup’ an, um den Spitzwegerich zu konservieren. Frische zerrupfte Spitzwegerichblätter schichtet man im Wechsel mit Honig in einen Krug und gräbt ihn 50 cm tief in die Erde ein. Dort verbleibt er für einige Wochen bis hin zu drei Monaten. Dabei nimmt der Honig die wirksamen Substanzen auf und nach der Filtration erhält man den Sirup, der bei innerlicher Anwendung die Selbstheilung fördert. Auch Tee-Aufgüsse aus frischen Blättern zeigen diese Wirkung. Die in der Lungen- und Erkältungspflanze Spitzwegerich enthaltenen Schleimstoffe legen sich als schützender Film über die Mund- und Rachenschleimhaut, so dass lästiger Hustenreiz gestillt wird. Die Gerbstoffe der Pflanze wirken adstringierend und stabilisieren somit zusätzlich die Schleimhäute.

Als pflanzliches Arzneimittel zugelassen

Die Kommission E – eine selbstständige wissenschaftliche Sachverständigenkommission für pflanzliche Arzneimittel des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) – hat dem Spritzwegerich eine Positiv-Monographie als Grundlage für die Zulassung von pflanzlichen Arzneimitteln erteilt. Damit ist die Wirksamkeit und Verträglichkeit der innerlichen Anwendung als Antitussivum bei akuten Infekten der oberen Atemwege oder bei Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut und äußerlich bei leichten entzündlichen Erkrankungen geprüft und das Kraut als traditionelles Arzneimittel zugelassen worden. Der Spitzwegerich wurde vom ‘Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde’ an der Universität Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres 2014 gewählt.

Das Reformhaus bietet neben dem Tee auch Spitzwegerichsaft zur Linderung von Katharren der Luftwege oder Entzündungen der Mund- und Rachenschleimhaut sowie diverse Formulierungen als Nahrungsergänzungsmittel.