Zugegeben, diese Frage ist provokant. Natürlich ist Obst und Gemüse gesund. Es hat zahlreiche gesundheitsfördernde Eigenschaften. Wer viel Obst und Gemüse isst, bleibt länger gesund und lebt länger.

Ein hoher Obst- und Gemüsekonsum wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislauf- System aus, hemmt entzündliche Prozesse im Körper und reduziert das Risiko, an Krebs zu erkranken. Die Frage müsste daher präzisiert werden: Ist das Obst und Gemüse, das wir heutzutage auf den Teller bekommen, noch gesund? Und diese Frage kann leider nicht immer uneingeschränkt mit ‚Ja‘ beantwortet werden. Denn zwei problematische Entwicklungen der letzten Jahre und Jahrzehnte können einem die Lust auf Obst und Gemüse verleiden. Zum einen sind in den neueren Sorten viele der Substanzen herausgezüchtet, die Obst und Gemüse so gesund machen. Und zum anderen gelangen durch Verarbeitung und Verpackung immer mehr Schadstoffe in unser Obst und Gemüse.

Sekundäre Pflanzenstoffe werden herausgezüchtet

Der Grund, warum Obst und Gemüse so gesund ist, sind natürlich die enthaltenen Inhaltsstoffe. Neben Ballaststoffen sind dies bekannte Mikronährstoffe wie Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente – vor allem aber eine Substanzgruppe, die nur in Kräutern, Früchten und Gemüsesorten enthalten ist, nämlich die sogenannten sekundären Pflanzenstoffe. Sie geben der Pflanze die Farbe und den Geruch oder schützen sie vor der Sonne und vor Fraßfeinden. Zu diesen bioaktiven Pflanzenstoffen, die auch für den Menschen viele gesundheitsfördernde Eigenschaften besitzen, gehören zum Beispiel Anthozyane aus roten Früchten, Lycopin aus der Tomate, Glucoraphanin aus Brokkoli oder OPC aus Äpfeln.

Alte Apfelsorten besser als Neuzüchtungen

Nun schmecken diese sekundären Pflanzenstoffe in der Regel bitter oder säuerlich. Das scheint im Massengeschmack – zumindest nach Ansicht einiger industrieller Obst- und Gemüseproduzenten – nicht anzukommen. Und deshalb wurden diese Substanzen aus vielen Obst- und Gemüsesorten kurzerhand herausgezüchtet. Ein Beispiel ist der beliebte Apfel: Die in Äpfeln enthaltenen Polyphenole sorgen für den leicht säuerlichen Geschmack. In den alten Apfelsorten wie z. B. Alkmene, Freiherr von Berlepsch, Boskoop, Goldparmäne, Prinz Albrecht von Preußen oder Ontario findet sich noch ein recht hoher Polyphenol-Anteil. Die neu gezüchteten Apfelsorten enthalten dagegen nur noch wenige dieser Polyphenole, weil sie schlichtweg herausgezüchtet wurden, um dem Apfel den säuerlichen Geschmack zu nehmen. Dass damit auch die gesundheitsfördernden Eigenschaften des Apfels weggezüchtet wurden, nahm man dabei offenbar in Kauf. Der Spruch „One Apple a day keeps the doctor away” trifft damit nur noch für wenige allgemein erhältliche Sorten zu.

Auch in Brokkoli oft kaum noch sekundäre Pflanzenstoffe

Ein anderes Beispiel ist der Brokkoli. Das darin enthaltene zu den Senföl-Glykosiden gehörende Glucoraphanin wird durch Zerschneiden oder Kauen mithilfe des ebenfalls enthaltenen Enzyms Myrosinase in ein Senföl mit großer Heilkraft umgewandelt, dem Sulforaphan. Es hilft nicht nur, Entzündungen in Magen und Darm zu lindern und den Blutzuckerspiegel zu senken, sondern soll auch eine Antikrebswirkung haben. Da Sulforaphan bitter schmeckt, wurde auch das Glucoraphanin im Laufe der Zeit aus dem Brokkoli herausgezüchtet, so dass nur noch wenige Sorten wirklich empfehlenswert sind. Am meisten Glucoraphanin enthalten die Sprossen. Übrigens: Das Kochen des Brokkoli zerstört das Enzym Myrosinase, so dass fast nichts von dem wertvollen Sulforaphan entstehen kann. Daher sollte Brokkoli am besten roh oder nur leicht gedünstet verzehrt werden.

Plastikverpackung belastet Obst und Gemüse

Ein weiteres Problem stellt die Pestizidbelastung dar. So wurde bei einer Untersuchung in Frankreich bei fast allen der 6848 untersuchten Personen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat im Körper gefunden. Auch das mittlerweile verbotene Insektizid DDT belastet immer noch unsere Böden. Bei jedem Kleinkind in Deutschland finden sich schon einige Mikrogramm pro Körpergewicht im Blut. Aber auch ein bisher nur wenig beachtetes Phänomen bietet Anlass zur Sorge: Obst und Gemüse – gerade wenn es aus fernen Ländern eingeführt wird – kommt auf seinem Weg zum Verbraucher über Förderbänder, Tanks und Container unzählige Male mit Materialien wie Plastik, Gummi, Metall, Fetten, Desinfektionsmitteln usw. in Berührung. Spätestens Im Regal liegt es dann noch eingeschweißt in Plastikfolie, so dass es am Ende einer Vielzahl von Gelegenheiten ausgesetzt war, bei der Schadstoffe und Weichmacher in das Obst und Gemüse übergehen konnten.

Wie profitiert man dennoch von Obst und Gemüse?

Welche Empfehlung leitet sich aus dieser Erkenntnis ab? Sollte man lieber weniger Obst und Gemüse verzehren? Das kann es natürlich nicht sein, denn in Deutschland wird ohnehin schon zu wenig Obst und Gemüse gegessen. Dies zeigen Untersuchungen wie die Nationale Verzehrsstudie. Die beste Gewähr, möglichst wenig Schadstoffe mit zu verspeisen, ist der Kauf von regionalen Produkten, am besten aus der Biolandwirtschaft. Hier wird man auch am ehesten fündig, wenn man statt der neuen, hochgezüchteten, lieber alte Sorten kaufen möchte, die reich an sekundären Pflanzenstoffen sind. Auch Nahrungsergänzungsmittel können eine Möglichkeit sein, bei geringem Obst- und Gemüseverzehr, den Mangel auszugleichen und ein rückstandsfreies Produkt zu konsumieren. Hier sollte man aber unbedingt darauf achten, dass auf der Packung die Menge der enthaltenen sekundären Pflanzenstoffe konkret ausgewiesen wird.