Alles hängt mit allem zusammen. Es gibt Themen, die gerne verdrängt werden. Damit sind sie aber nicht aus der Welt – im Gegenteil. Zwar fürchten sich viele Mitmenschen davor, hilflos zu werden, hilflos zu sein, sind aber selbst nicht besonders hilfsbereit. Individuell, persönlich und global. Manches könnte verhindert und manches geheilt werden.

Selbstachtung und intellektuelle Redlichkeit

Zur Selbstachtung und intellektuellen Redlichkeit angesichts der planetaren Krise schreibt der Gegenwartsphilosoph Thomas Metzinger in seinem neuen Buch „Bewusstseinskultur“ (nach „Der Ego- Tunnel“, „Eine neue Philosophie des Selbst: von der Hirnforschung zur Bewusstseinsethik“), das ich hoch schätze:

„… Wir müssen uns ehrlich machen. Die Menschheit befindet sich mitten in einer planetaren Krise. Die globale Krise selbstverschuldet, historisch, beispiellos – und es sieht nicht gut aus. Sowohl die politischen Institutionen als auch eine große Zahl von Einzelpersonen versagen bei der Bewältigung dieser Krise kläglich, und zwar sehenden Auges und schon sehr lange.“ Ja, ja, ja, viele von uns können/wollen davon nichts mehr hören und sehen. Letzteres ist aber keine Lösung – ganz im Gegenteil.

Thomas Metzinger, Buch: „Bewusstseinskultur“

Notwendige Hilfe

Selbstverständlich bedürfen Mitmenschen, die in schwieriger oder gar aussichtsloser Situation sind, akut vorrangig unserer Hilfe, unserer Hilfsleistungen. Neben persönlichem, individuellem Einsatz von Helfern, Rettern und Leistungserbringern (der gleichwohl politisch koordiniert und überwacht wird) garantiert die Gesellschaft, der Staat, notwendige Hilfe. Die jedoch selten nur als optimal bewertet wird, mitunter als genügend, häufig als unzureichend. Auch da gibt es unterschiedliche Auffassungen und Bemühungen, die eigene und die anderer.

Mitmenschen, die Hilfe brauchen und sich selbst nicht helfen können, sind völlig hilflos. Dieser Definition nach sind/werden immer mehr Mitmenschen hilflos. Krankheitsbedingt. Unfallbedingt. Durch Einwirken äußerer Gewalt, derzeit auch wieder brutal kriegsbedingt. Andere wiederum auch selbstbedingt.

Hilflos bedeutet im Wortsinn: ohne Hilfe zu sein. Das kann jedoch unterschiedlich verstanden werden:

  • keine Hilfe zu bekommen, die notwendig wäre
  • keine Hilfe zu geben, zu leisten, die erforderlich wäre.

Gewöhnlich wird in unserer Gesellschaft die schwerste und dringendste Hilfsbedürftigkeit als Hilflosigkeit bezeichnet und nicht mehr, dem ursprünglichen Wortsinn nach, das Verweigern von Hilfe. Individuell und persönlich geschieht das aber sehr oft. Das Helfen, die Barmherzigkeit wird an die Sozialsysteme und en Staat delegiert.

Alle für Einen

Formal wird im Sozialstaat jedem, jeder Hilfsbedürftigen notwendige Hilfe in ausreichendem Maß gewährt. Zugesichert und geregelt wird diese Hilfe im Sozialgesetzbuch, das aus Bismarcks Reichsversicherungsordnung hervorging. Das Grundprinzip ist „Alle für Einen/Eine“. Von Betroffenen, Bedürftigen, Notleidenden und von Sozialverbänden wird derart gewährte Hilfe im Einzelfall oftmals als unzureichend empfunden. Derzeit werden für Hilfs- und Unterstützungsleistungen rund 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (Sozialleistungsquote), in absoluten Zahlen 198,3 Milliarden € pro Jahr eingesetzt. Das ist immerhin nicht ganz wenig.

Nur zum Vergleich (selbstverständlich sollte ein Etat nicht für den anderen aufgerechnet werden): Die Ausgaben für die Landesverteidigung sind wesentlich niedriger (angesichts des Krieges in Europa leider immer noch nicht zu erübrigen), deutlich unter 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Zudem ist der Sozialetat stetig ansteigend, von 18,3 Prozent in 1960, eines damals weit niedrigeren Bruttoinlandsprodukts, auf den heutigen Stand (siehe oben). Gemessen an den Bundesausgaben fließen dem Sozialetat 53 Prozent zu. Aber all das wirkt mehr und mehr unzureichend. Soll besser werden. Das heißt in unserem System mehr. Mehr Leistungen, mehr Ausgaben, mehr Abgaben. Logisch.

Quellen der Hilfeleistung

Und woher nehmen? Zuerst von den Reichen. Das versuchte der edle Robin Hood schon zu praktizieren. Zumal, aus heutiger Sicht der ökologische Fußabdruck der Reichen mit ihren Yachten und SUVs, ihren Flügen auf alle möglichen Inseln, weit überproportional ist. Da kommen schon ein paar infrage, die man mit den Worten von Frau Esken als Co-Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, doch mal zur Kasse bitten kann. Tatsächlich wurde in der PHF-Studie1 ein durchschnittliches Nettovermögen bundesdeutscher Haushalte von 232.800 € ermittelt. Davon könnte man schon mehr abgeben. Allerdings liegt der Medianwert bei 70.800 € pro Haushalt, weil viele doch weniger haben als der Durchschnitt. Klar, da muss man genau hinsehen. Und ein wenig zumindest verstehen von Statistik. Gewiss gibt es von etlichen Milliardären viel Geld zu holen. Das kann allerdings für die Sozialleistung nur einmal ausgegeben werden. Zweihundert Milliarden Euro werden jährlich benötigt, stetig. Nachhaltig.

Erhöht werden könnten deshalb auch die Beiträge der Arbeitenden, der Angestellten sowie der Arbeitgeber zu den Sozialkassen, den Kranken- und Rentenkassen, zum Bundesamt für Arbeit sowie die Steuern. Die steigen, wenn die Wirtschaft wächst, und werden kontinuierlich entrichtet. Ein beachtlicher Teil des Steueraufkommens geht derzeit schon an die Sozialkassen. Soweit so gut.

Kreditaufnahmen könnten dazu kommen, auch um den Preis höherer Staatsverschuldung, für die höhere Zinszahlungen erforderlich werden. Jahrzehntelang wurde die Neuverschuldung (die Bezeichnung „Neu“ sagt schon: bisherige Schulden waren noch nicht abgezahlt: wir sind aus dem Gleichgewicht, ohne Nachhaltigkeit) praktiziert und dazu schließlich der Kreditzins von den Notenbanken in den negativen Bereich gebracht. Anderenfalls hätten die Staaten das nicht stemmen können. Die dafür erforderliche Geldflut stimulierte zusätzlich die Aktienmärkte, den privaten Konsum und daraufhin auch die Teuerung. Die belastet nun am massivsten die Einkommensschwächsten, für die Hilfe, nicht zuletzt in Form von Ausgleichszahlungen, selbstverständlich erforderlich ist. So hängt alles mit allem zusammen.

Spare in der Zeit

Eine Alternative zu all dem könnte das Sparen sein. Hier und da mal Verzicht. Doch das ist unpopulär. An wem und an was könnte/wollte man überhaupt sparen? Das kapitalistische, geldorientierte System ist doch auf Wirtschaftswachstum, auf immer mehr: vor allem, immer mehr Geld angewiesen. Spare in der Zeit, so hast Du in der Not. Hieß es einmal. Was bedeutet das heute? Sind wir noch in der Zeit – gespart haben relativ wenige – oder schon in der Not? So ist es leider. Die Not wächst. Krisen werden zu Polykrisen, zu miteinander verknüpften und unlösbaren Krisen. Und Katastrophen. Mit Geld allein nicht zu beheben, nicht abzuwenden. Persönlicher Einsatz ist erforderlich. Selbstbeteiligung. Mithilfe, Mitwirkung. Doch wer ist noch bereit persönlich zu helfen? Zu pflegen? Zu helfen? Zu leisten? Das Empfinden von Hilflosigkeit wächst und von Ohnmacht gegenüber der planetaren Krise und noch immer der Hybris der vieler Menschen.

Erlernte Hilflosigkeit

In den späten 1960er Jahren stellte der Psychologe Martin Seligman die Hypothese von der erlernten Hilflosigkeit auf. Von der jedoch nicht alle Menschen gleichermaßen betroffen seien. Erlernte Hilflosigkeit könne aus dem Erleben bzw. Empfinden von Ohnmacht, von fehlender Kontrolle der Lage und von Hoffnungslosigkeit entstehen – und zu anhaltender Depression führen. Natürlich reagiert nicht jeder Mensch so. Wesentlich ist da die persönliche Einordnung, die Art der Attribution, so Seligman, wenn nämlich die Ursache der Hilflosigkeit

  • in eigenem Versagen und/oder
  • dem Wirken übermächtiger Umstände und/oder
  • scheinbarer endloser Unabänderlichkeit

von den Betroffenen so gesehen wird.

Primär wurde demnach die Ursache erlernter Hilflosigkeit im Menschen selbst, im Einzelnen vermutet, in dessen Bewertung der Umstände und seinem Selbstempfinden (Attributionsstil). Mit negativer Eigenerwartung wird wohl niemand sehr froh, tatkräftig und hilfreich sein.

Das sanfte Monster

Verstärkt werden kann diese Entwicklung von einer Politik, die – durchaus wohlmeinend – umfassend regelnd, behütend und versorgend regiert. Wie derzeit in unserer Gesellschaft, von der Mehrheit gewünscht und gewählt. Hans Magnus Enzensberger schrieb dazu schon 2011 in „Der Spiegel“ über die Europäische Union, die er als das „sanfte Monster in Brüssel“ bezeichnete:

„… die europäische Union weiß alles besser als wir …“ und „… Sie bewegt sich auf leisen Sohlen. Sie gibt sich erbarmungslos menschenfreundlich. Sie will nur unser Bestes. Wie ein gütiger Vormund ist sie besorgt um unsere Gesundheit, unsere Umgangsformen, unsere Moral. Auf keinen Fall rechnet sie damit, dass wir selbst wissen, was gut für uns ist; dazu sind wir in ihren Augen viel zu hilflos und zu unmündig, deshalb müssen wir gründlich betreut und umerzogen werden“.

Das mag zugespitzt sein, erklärt aber, wie wohlmeinende Politik zum Empfinden persönlicher Hilflosigkeit beitragen kann. Dass sich daran nicht viel verändert hat, ist unter anderem an den politischen Entscheidungen in unserem Land während der COVID-Ausbreitung erkennbar. Zum Interesse von Politikern daran meinte Hans Magnus Enzensberger, wiederum zur EU-Politik: „… jede Ausdehnung ihrer Kompetenz verspricht der Institution mehr Macht, mehr Geld und mehr Planstellen. Eine bessere Erklärung für viele Entscheidungen unserer europäischen Sachwalter hat bislang niemand vorgebracht“.

Ein Quantum Eigenleistung

Eine derartig betreute Gesellschaft verändert sich verständlicherweise. Auch die Mentalität ändert sich. Weitere Fortschrittsfaktoren wirken daran mit. Verbrauch fossiler Energie, Umherfahren, Fliegen ist so einfach und scheinbar billig. Und dazu die Einstellung: wir können ohnehin nichts ändern, nicht helfen, nicht retten. Die Hypothese von der erlernten Hilflosigkeit findet weitere, selbsterfüllende Bestätigung. Wer so verlernt, selbst zu helfen –auch sich selbst zu helfen – wird dafür mehr Ansprüche und Forderungen an Andere und an die Gesellschaft stellen. Die Entwicklung ist problematisch. Keinesfalls soll Hilfsbedürftigen die notwendige und ausreichende Hilfe geschmälert oder gar verweigert werden. Ganz im Gegenteil. Wenn allerdings – weiter gedacht – die Mehrheit hilflos wird, ist notwendige Hilfe nicht mehr ausreichend zu leisten. Besonders dann, wenn die Auswirkungen des Klimawandels belastend hinzukommen. Für die muss heute schon intensiv vorgesorgt werden.

Heute schon dürfte ein Quantum an Eigenleistung und Selbsthilfe, sofern die eigenen Kräfte das hergeben, nicht völlig verkehrt sein. An Verzicht und an Demut. Mental ist dafür der Wandel von der Anspruchshaltung zur Hilfsbereitschaft grundlegend. Und wohltuend für Alle. Und für den Körper die Verbindung mit der Natur, gut, grundlegend mit ausreichend Bewegung im Freien: dreißig Minuten pro Tag, wenn irgend möglich. Einfache Ernährung, kalorisch knapp bemessen mit Pflanzenkost. Und zur Wiederherstellung sowie zur weiteren Stärkung der Gesundheit geeignete Pflanzenstoffe in optimaler Dosis, für Prävention und Komplementärtherapie. Die wichtigsten von diesen Pflanzenstoffen sind im Basisprogramm für längere Gesundheit erklärt. Aufgrund zunehmender Krankheitsanfälligkeit und -häufigkeit wird entsprechend mehr eingreifende Medizin nötig. Mit sinnvoller Prävention, wie oben skizziert, kann manche Krankheit verhindert und Gesundheit besser bewahrt werden.

Ökologischer Fußabdruck und Nachhaltigkeit

So kann der eigene Medizinbedarf sowie der ökologische Fußabdruck doch klein gehalten werden. Der würde durch Tierzucht/Verarbeitung/Fleischkost vergrößert. Darüber hinaus kann nicht geleugnet werden: Auch der Medizin- und Pflegebetrieb trägt zur Klimaveränderung bei, mit derzeit ungefähr 5 Prozent der Gesamtemissionen an Kohlendioxid. Rund 20 Prozent des Kohlendioxidausstoßes stammt aus der Landwirtschaft, 70 Prozent davon, d.h. 14 Prozent insgesamt, von der Tierzucht.

Würden sämtliche Erdbewohner so viel fahren/fliegen/verbrauchen wie das derzeit in Deutschland geschieht, wären dafür drei (!) Erden erforderlich. Derzeit kommen viele Mitmenschen zu uns, die meisten davon unfreiwillig, etliche Not leidend und hungernd wegen Dürren und Missernten im Zuge der Klimaveränderung. Und wegen Kriegen. Obgleich die Zahl der Hilfsbedürftigen und Hilflosen dadurch weiter noch ansteigt. Auch da sind wir zur Hilfe verpflichtet. Und weil die Mittel und die Wohnflächen endlich sind, auch zum Verzichten und Teilen.

Erlernte Hilflosigkeit überwinden

Leider wird die Erderwärmung mit zunehmend wahrscheinlicheren Katastrophen weiter steigen, nicht bei 1,5 °C verharren. Die schon sehr verheerend sind. Leider ist die Menschheit noch nicht ausreichend bereit, ihr Verhalten zu ändern und ihren Verbrauch signifikant zu reduzieren. Auch das ist eine Form von Hilflosigkeit, die – von Mitteln und Möglichkeiten der Technik verführt – erlernt wurde. Eine zunehmende Form. Mit Demut, Bescheidenheit, Verbrauchsreduktion und Verzicht auf Unnötiges, durch Stärkung der Gesundheit mit natürlichen Mitteln und geeigneten Pflanzenstoffen, überwinden wir diese Art von Hilflosigkeit. Und sind dann besser in der Lage, Anderen zu helfen.


1 PHF-Studie – Private Haushalte und Privateinkommen 2017, Deutsche Bundesbank