Wenn gesagt wird, ein Mensch sei entwurzelt, bedeutet das, er habe den Bezug zu den Lebensgrundlagen verloren sowie zu den Kraftquellen. Die Metapher stellt einen Vergleich mit dem Pflanzenreich her.

Stabilitas Loci 

Mobil sind wurzelnde Pflanzen jedenfalls nicht; sie können ihren Standort nicht nach Bedarf, Lust und Laune verlassen — sie sind ortsfest und bleiben. Im Zisterzienserorden war die stabilitas loci — das Verbleiben an ihrem Ort — eine Grundregel der Mönche, neben Gebet, Liturgie und weiteren Pflichten. Im Zuge der Reformation wurde mit dem Vermögen des Zisterzienserklosters Heina die Philipps Universität Marburg gegründet (in der ich wurzele, die meine Ausbildung ermöglicht und meine Entwicklung mitgeprägt hat). Zisterzienser kultivierten Heilgärten — an der Seite von Kreuzgang und Kirche — und bildeten frühe Pharmazeuten aus. In der Autarkie der Klosterwirtschaft (die nicht romantisch verklärt werden sollte) findet sich eine faszinierende Analogie zum Pflanzenreich. Wurzelnde Pflanzen können bei Beeinträchtigungen und Krankheitsgefahr nicht mal eben zu einer Apotheke oder einem medizinischen Versorgungszentrum gehen. Ohnehin wäre im Zentrum ein Termin mit Versichertenkarte erst nach geraumer Wartefrist — und in Apotheken nicht immer ein eingreifendes Medikament oder ein Hustensaft erhältlich.

Verwurzelung fördert Heilung und Resilienz

Pflanzen sind nicht krankenversichert — und brauchen das nicht. Weil im Pflanzenreich während einiger hunderttausend Jahre notwendige, genial anmutende Schutzstoffe für die eigenen Zellen entwickelt wurden, in unterschiedlicher Art und Wirksamkeit in verschiedenen Pflanzenarten. Etliche davon wirken toxisch (abhängig auch von der Dosierung), wenn sie vom Menschen aufgenommen werden. Einige Pflanzenarten jedoch bilden Wirkstoffe, die auch unsere Körperzellen schützen können, und werden deswegen seit Generationen als Heilpflanzen gebraucht. Nachdem deren molekulare und zelluläre Wirkmechanismen ansatzweise entschlüsselt sind, ist die Anwendung dieser Pflanzenarten vor allem zur Prävention von Zivilisationskrankheiten geradezu essenziell geworden (konkrete Kombinationen dazu finden Sie im Basisprogramm für längere Gesundheit). Einige Evolutionsbiologen erklären die allmähliche Entwicklung hocheffektiver Schutzstoffe mit der Notwendigkeit eigener Selbstmedikation für die ortsfesten Pflanzen — da sie nun mal nicht fliehen, nicht ausweichen konnten.

Mit ihrer Wurzel nehmen Kräuter, Sträucher und Bäume Wasser und Mineralstoffe aus der Erde auf — und sind damit fest verankert. Zusammen mit der Energie aus dem Sonnenlicht und dem Kohlendioxid aus der Luft, das sie aufnehmen, um Struktur-, Funktion- und Speicherstoffe zu bilden, sind diese Pflanzen autark, selbstständig, nachhaltig. Klar, Derartiges kann kein Mensch leisten. Menschen haben ganz andere Fähigkeiten, grandiose, weniger essenzielle und leider auch destruktive.

Einfluss des Menschen  

Bei der Bildung ihrer Schutzstoffe haben die Pflanzen gewiss nicht an den/die Menschen gedacht: Die kamen zur Schöpfung erst viel später hinzu hinzu. Aber dann umso heftiger, effektiver und gefährlicher. Auch für sich selber, was den Pflanzen fremd wäre. So hat es die Menschheit geschafft, in ungefähr 200 Jahren (ein Zeitraum, der für Pflanzen nanowinzig ist und von gerade mal sieben Generationen des Menschen „gestaltet“ wurde) die Temperatur an der Erdoberfläche um 1,5 °C zu steigern. Was geringfügig scheint — Menschen steigern seitdem sehr viel mehr: technisches Wissen, Kredite und Schulden, Inflationsraten, Hunger und Elend, Hass und Gewalt, und zudem ihre Zahl, acht Milliarden gerade.

Klimawandel

Tatsächlich ist die Klimaveränderung, die steigende Übererwärmung der Erdoberfläche wahrscheinlich die größte Herausforderung und Gefahr seit es Menschen gibt. Die unbeirrte Raserei auf den Autobahnen, das Abwehren von Tempolimits, zeigt die Unbelehrbarkeit vieler Menschen.

Pflanzenarten, die lange vor dem Erscheinen der Menschheit schon hier waren, halten durch Aufnahme von Kohlendioxid die Erderwärmung noch so gut es geht ein wenig auf — und werden auch noch da sein, wenn die Menschheit mit all ihrem Irrsinn nicht länger bestehen kann. Temporär können die meisten Pflanzenarten mit hoher Einstrahlung von UV-Licht (und, sofern sie gut verwurzelt sind, auch mit dem Temperaturanstieg ) einigermaßen umgehen; sie haben bereits vor der Klimaveränderung effektive Schutzstoffe gegen oxidative Beschädigungen sowie Reparaturstoffe für ihre Zellen hervorgebracht — und können auch nach zu befürchtendem kollektivem Selbstmord der Menschheit wieder zu ihrer Tagesordnung übergehen: im Sonnenlicht Kohlendioxid aufnehmen, nachts einen Anteil davon wieder abgeben, statt einseitig immer mehr davon zu produzieren. Ungefähr so wie Matthias Claudius das im Gedicht „Der Mond ist aufgegangen“ skizziert hat: „ … der Wald steht still und schweiget, und aus den Wiesen steiget der weiße Nebel wundersam. …“

Im Pflanzenreich hat das Verwurzeltsein zur Bildung hochwirksamer Schutzstoffe und Wirkstoffe zur Eigenheilung geführt. Derartige Wurzeln mit der Bindung, dem Bezug zur Erde haben Tiere und Menschen nicht, jedoch sind die mobil (manche Menschen sogar hypermobil). Existenziell wurzelte der Mensch ursprünglich im Pflanzenreich

  • von dem der Sauerstoff freigesetzt wird, den wir einatmen
  • von dem — im Primärstoffwechsel — Proteine, Kohlenhydrate und Öle bzw. Fette hergestellt werden, die Grundelemente unserer Nahrung
  • von dem — im Sekundärstoffwechsel einiger Pflanzenarten — gesundheitsfördernde, stärkende und regenerierende Schutzstoffe gebildet werden, die für unser Leben, unsere Gesundheit essenziell sind.

Nachhaltige Pflanzenwelt  

In den letzten Jahren wird häufig von Nachhaltigkeit gesprochen. Pflanzen sind wirklich nachhaltig. Indem sie mit dem Wasser, das sie durch ihre Wurzeln aus der Erde beziehen, dem Kohlendioxid aus der Luft und dem Sonnenlicht eigenständig ihre Primärstoffe bilden — und dazu noch faszinierend wirksame Schutzstoffe. Und was tut der Mensch/die Menschin/die Menschheit? Derzeit trotz aller Versprechungen meistens das Gegenteil: rodet Wälder, asphaltiert/betoniert/schüttet Grünflächen zu, verheizt und verfährt Öl und Gas aus uralten Beständen, produziert Giftstoffe und Müll, zerstört Leben und ganze Arten, ist gierig, da wurzellos, unzufrieden und ängstlich, lügt und betrügt. Macht sich/nimmt sich sehr wichtig. Macht andere und sich selbst unglücklich. Selbstverständlich: Es geht auch anders und gibt auch andere Mitmenschen. Beglückend.

Begünstigt wurde die Fehlentwicklung der Mehrheit durch den Übergang von einer agrarischen, produzierenden Lebensweise hin zur konsumierenden Gesellschaft.

Entwurzelung in der Konsumgesellschaft  

Consumo ergo sum: solange ich konsumiere, bin ich, ist zum unbewussten Credo unserer Gesellschaft geworden. Eine Zeit lang ging das ganz gut. Mit der Industrialisierung wurde die technische Produktion, aber auch die Landwirtschaft effektiver, die Produkte billiger und die Sozialversicherung ermöglicht. Hoher Wohlstand, Luxus, schließlich Hybris, entstand. Narzissmus. Einige Weitsichtige warnten schon in den sechziger und siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts vor einer gefährlichen Veränderung der Atmosphäre, vor dem Artensterben und der Zerstörung der Zukunft („stummer Frühling“).

Spät wird nun erkennbar, dass eine grundlegende Zeitenwende da schon notwendig gewesen wäre. Trotz wachsender Einsicht geschieht aber noch immer zu wenig. Zum Klimaschutz werden zwar Gesetze, Vorschriften und Regelungen beschlossen, die Selbstverantwortung und Selbstbeteiligung der Verbraucher scheint dabei wenig erforderlich, als ob die Politik alles richten könnte. Wegen des weiter wachsenden Energieverbrauchs wird trotz der Verteuerung nun noch mehr Kohle, mehr Gas, mehr Erdöl verstromt, verheizt und verfahren. Für Unnötiges. Die Mehrheit will fahren, und das möglichst schnell, will Komfort und sich damit amüsieren. Die Mehrheit ist für den Konsum — und gegen Verzicht.

Getrieben war der Konsum bisher vom üppigen Angebot an Waren, Brennstoffen und Reisen, das — ungeachtet der Umweltbelastung — für ziemlich niedrige, erschwingliche Preise sorgte. Bei steigenden Preisen intervenieren Politiker nun, um die Kosten für Heizen und den Strom zu dämpfen, sicher nötig, um Härten zu lindern — aber auch dienlich, um Kaufkraft der Verbraucher zu erhalten, und die Wirtschaft am Laufen.

Die Macht der Konsumenten  

Verbraucherschutz hat in unserer Gesellschaft zu Recht hohe Priorität. Gesetzliche Regelungen und Rechtsverordnungen wurden eingeführt, um eventuelle organisatorische und strukturelle Übermacht global agierender Konzerne gegenüber einzelnen Konsumenten auszutarieren (erinnernd an die Geschichte von dem Riesen Goliath und dem Hirtenjungen David). Natürlich könnten Verbraucher zum Abbau der Macht dieser Konzerne beitragen, indem sie auf einschlägigen Konsum verzichten. Bloß wenige sind aber dazu bereit. Nach wie vor ist die Selbstverantwortung der Verbraucher nicht sehr ausgeprägt. Ein wenig Kompensation dafür leisten gesetzliche Vorschriften zur Beachtung des Umweltschutzes und zum Verhindern von Ausbeutung, vor allem von Kinderarbeit in den Herkunftsländern der Waren, jedoch keinen Ersatz für die Selbstverantwortung. Dafür hat die EU ein 400-seitiges Regelwerk für die Einhaltung ethischer und ökologischer Standards geschaffen und damit jedenfalls für mehr Bürokratie und Haftpflichten gesorgt. Mögen die Bedingungen in Ländern, die den Konsum beliefern, damit hoffentlich besser werden.

Die Macht des Geldes 

In den Jahrzehnten des Wohlstands — in einigen Regionen — , des globalen Fortschritts, der üppigen Versorgung wie der erweiterten Sozialleistungen von manchen Staaten, hat sich die Mentalität vieler Menschen offensichtlich verändert. Bis vor kurzem galt es als selbstverständlich, dass diese Art von Wohlstand weiter erhalten bleibt bzw. noch zunimmt, dass die Wissenschaft und die Technik die meisten Probleme der Menschen (auch die selber bereiteten) lösen wird. Betriebsstoff bei all dem ist das Geld, von dem immer mehr verlangt wird.

Bereitgestellt wird es aus Löhnen, Erträgen, Beiträgen zu den Sozialkassen, Steuern und in hohem Maß aus Kreditaufnahmen der Staaten. Um die Zinsen dafür niedrig zu halten — eine Rückzahlung ist nahezu utopisch — erhöhten die Notenbanken „einfach“ enorm die Geldmenge. Die inflationär wirkt. Für Dienstleistungen und Waren, für den Lebensunterhalt wird dann mehr Geld verlangt. Zunehmend mehr Berufsgruppen weisen nun auf ihre Wichtigkeit für die Gesellschaft hin, auf den Mangel an Fachkräften, sowie auf die Notwendigkeit von Entlastung und höherer Vergütung

Nie genug?

Wenn nicht genügend Geld geboten wird, stehen manche Dinge nicht mehr in bisherigem Maß zur Verfügung, werden viele Medikamente nicht mehr hergestellt/nicht geliefert, werden manche Dienstleistungen nicht mehr erbracht. Für die Konsumgesellschaft ist das eine neue Erfahrung. Mit mehr Geld, heißt es dann, sei der eklatante Mangel zu beheben. Mit diesem Geld könnten mehr Mitarbeitende eingestellt und motiviert werden, die Arbeitsbedingungen verbessert und wieder mehr Produkte geliefert werden. Von dem Mehr heißt es dann aber oft, das sei unzureichend. Genug wird in der Konsumgesellschaft wohl niemals genug sein.

In praktisch allen Bereichen gilt die Finanzierung als absolut notwendige Voraussetzung jedweder Problemlösung. Gewiss ist unsere Gesellschaft auch ethik- und werteorientiert (besonders in der Rhetorik), aber ganz besonders ist sie geldorientiert. Pflanzen wurzeln nach wie vor in der Erde, seit Urzeiten. Die Konsumgesellschaft hingegen wurzelt im Geld, ihrem eigentlichen Treib- und Betriebsstoff.

Schwinden von Selbstverantwortung  

Was macht das mit den Menschen in dieser Gesellschaft? Das Schwinden von Selbstverantwortung, Selbstbeteiligung und persönlicher Fürsorge für Andere führt zu weiter wachsenden Problemen. Die Mentalität ist dann mehr von Egoität, Fordern und Verlangen, von dem Mangel an Resilienz geprägt, weniger von eigenem Einsatz und Teilen, weniger vom Verzichten. Besser, ausdauernder, kräftiger, nachhaltiger, resilienter, gesünder wird man so nicht. So ist auch in der Medizin permanent Mehr erforderlich: mehr Untersuchungen, mehr Studien, mehr Leitlinien, mehr Medikamente, mehr Kosten — und, scheinbar paradox, mehr Krankheiten. Gewiss verhilft das frühere und präzisere Entdecken von Krankheiten, dank intensiver Diagnostik, zu besseren Therapiechancen. Was zu begrüßen ist. Ein großer Teil von hinzukommenden Krankheiten ist aber systembedingt.

Ist am Ende weniger mehr?  

Der gewöhnliche Ansatz zur Problemlösung in unserer Gesellschaft ist das Mehr: mehr Aufwand, mehr Ausgaben, mehr Geld, mehr Belastungen, mehr Kosten, mehr Gegeneinander, mehr Polemik, mehr Unsicherheit. Mehr in allen Bereichen. Dürfte es hier und da vielleicht weniger sein? Selbstverständlich wird sich die Mehrheit gegen jeglichen eigenen Verzicht verwahren. Weil man darin keinen Vorteil erkennt. Weil man auf Ansprüche und Forderungen pocht. Und als geeignetstes Substrat, um doch irgendwie zu wurzeln, den legendären Geldspeicher herbeiwünscht. Der aber inzwischen zum Schuldenturm mutiert ist. Weniger. Weniger Beschleunigung, weniger Tempo, weniger Kohlendioxidemission, weniger Egoität, weniger Belastung der Erde, weniger Veränderung des Klimas, weniger Unsinn, weniger Hass, weniger Polemik, weniger Gewalt, weniger Verschuldung. Dazu nicht im Geld wurzeln. Das bedeutet nicht, wie uns oft weisgemacht wird, dass wir so unsere Existenz verlieren, unseren Wohlstand, unsere Teilhabe, unsere Gesundheit, unser Leben. Dass wir mit dem Prinzip weniger von alldem plötzlich entwurzelt wären. Im Gegenteil.

Wurzeln bilden – Vorbild Pflanzenreich  

Natürlich können wir nicht so in der Erde wurzeln wie ein Nussbaum oder ein Teestrauch oder ein Löwenzahnkraut. Wie das Pflanzenreich. Dafür ist es schon hilfreich, wenn wir die Erde nicht weiter zupflastern, nicht mit Chemikalien vergiften, nicht die Zukunft belasten, nicht das Klima noch massiver verändern. Nicht Mobilität über alles stellen. Gerade dann können wir wurzeln. Solange Pflanzen in der Erde wurzeln, können Menschen im Pflanzenreich wurzeln. Können von geeigneten Pflanzenarten die Nahrung sowie Schutzstoffe für ihre Gesundheit beziehen, gegen häufige Krankheiten.

Dass vegetabile Nahrung unersetzlich und viel besser geeignet zum Verhüten von Krankheiten ist, wird immer wieder bestätigt. Dabei sind die Schutzstoffe besonderer Pflanzenarten essenziell für die Gesundheit (siehe dazu das Basisprogramm für längere Gesundheit). Der zuverlässige und beste Gewinn aus der Beziehung zum Pflanzenreich ist die Mentalität, die uns daraus erwächst. Mit Worten allein kann das nicht erklärt werden. Jede Gärtnerin/ jeder Gärtner allerdings kann das bezeugen. Erfahrbar wird es schon mit der Kultur in der Pflanzschale am Küchenfenster. Stofflich und emotional gedeiht gute Mentalität, seelisches Verwurzeltsein, Akzeptanz, Bescheidenheit, Resilienz, Glück, Zufriedenheit und Gesundheit in unserem Leben mit Pflanzen. Mehr soll dazu hier nicht geschrieben werden.