Günter Wagner

Im Interview: Günter Wagner Ernährungswissenschaftler (Dipl. oec. troph.) vom Institut für Sporternährung, Bad Nauheim.

Wir leben von dem, was unser Körper aufnimmt

Die in Speisen und Getränken enthaltenen Nährstoffe werden während des Verdauungsprozesses aus dem Verbund des Lebensmittels herausgelöst, gelangen ins Blut und von dort aus zu den jeweiligen Geweben, die sie benötigen. Doch nicht alle Nährstoffe können in gleichem Maße verwertet werden. Ihre Bioverfügbarkeit ist unterschiedlich. Zudem gibt es individuelle Faktoren, die beeinflussen, wie gut oder schlecht Nährstoffe vom Körper aufgenommen werden. Genau genommen leben wir nicht von dem, was wir essen, sondern von dem, was unser Körper aufnimmt. Wissen um die Bioverfügbarkeit von Nährstoffen kann helfen, Zufuhrempfehlungen adäquat zu formulieren, Speisepläne zu optimieren und Nahrungsergänzungsmittel richtig zu dosieren.

reformleben sprach mit dem Ernährungswissenschaftler (Dipl. oec. troph.) Günter Wagner vom Institut für Sporternährung, Bad Nauheim.

Zufuhrempfehlungen berücksichtigen Resorptionsquote – auf Rohgewicht achten

reformleben: 300 bis 400 Milligramm Magnesium sollen Erwachsene täglich aufnehmen. Vollkornreis enthält circa 150 Milligramm Magnesium pro 100 Gramm. Also: Mit 200 Gramm Reis ist der Tagesbedarf gedeckt. Ist es so einfach?

Günter Wagner: Im Prinzip ja. Bei der Formulierung der jeweiligen Zufuhrempfehlungen an Vitaminen und Mineralstoffen werden die durchschnittlichen Resorptionsquoten bzw. Bioverfügbarkeiten der in den Lebensmitteln enthaltenen Nährstoffe berücksichtigt. Der jeweilige faktische Bedarf an Vitaminen und Mineralstoffen liegt also unterhalb der entsprechenden Zufuhrempfehlung. Beim Reis-Beispiel liegt das Problem somit eher in der Menge als in der Bioverfügbarkeit von Magnesium. Die Nährwertangaben beziehen sich immer auf das Rohgewicht. Beim Kochen nimmt der Reis aber rund die doppelte Menge an Wasser auf. Das bedeutet, dass über 400 Gramm Reis auf den Teller kommen. Das ist eine extrem große Portion.

Veränderung der Bioverfügbarkeit durch küchentechnische Be- und Verarbeitung

reformleben: Wie aussagekräftig sind Nährwerttabellen, wenn sie zwar etwas über den Gehalt eines Lebensmittels an bestimmten Nährstoffen aussagen, aber nichts über deren Bioverfügbarkeit?

Günter Wagner: Nährwerttabellen geben einen ersten guten Einblick in die unterschiedliche Zusammensetzung eines Lebensmittels, auch hinsichtlich des jeweiligen durchschnittlichen Vitamin- und Mineralstoffgehaltes eines Lebensmittels sowie hinsichtlich des Energie-, sprich Kaloriengehaltes. Die Werte müssen jedoch richtig interpretiert und für das tägliche Leben bewertet werden. Dieses gilt insbesondere für bestimmte Nährstoffe wie Calcium, Magnesium, Eisen, Zink, Folsäure und Vitamin A bzw. Pro-Vitamin A. So sind in den Tabellenwerken nicht berücksichtigt die Veränderungen des Vitamin- und Mineralstoffgehaltes durch die küchentechnische Be- und Verarbeitung. Hierdurch wird nicht nur möglicherweise der Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen verringert (Lager-, Koch- und Zubereitungsverluste), es wird auch Einfluss auf die Bioverfügbarkeit genommen. Diese Veränderungen können positiv sein, zum Beispiel beim Pro-Vitamin A, dem Beta-Carotin aus der Möhre oder Karotte. Durch Zerkleinern bzw. Reiben wird deren Bioverfügbarkeit ebenso verbessert wie durch Kochen und Erwärmen.

Kleine Mahlzeiten besser bioverfügbar

reformleben: Von welchen Faktoren wird die Bioverfügbarkeit noch beeinflusst?

Günter Wagner: Der wichtigste Einflussfaktor ist die Zusammensetzung des Lebensmittels bzw. der Mahlzeit. So verringert ein hoher Ballaststoff- oder Fasergehalt die Bioverfügbarkeit der enthaltenen Nährstoffe. Auch können bestimmte Inhaltsstoffe in Lebensmitteln die Aufnahme von Vitaminen und Mineralstoffen blockieren, die Bioverfügbarkeit somit verringern. Oxalsäure (Rhabarber) beispielsweise hemmt die Bioverfügbarkeit von Calcium und Magnesium, Gerbsäure aus Tee die Bioverfügbarkeit von Nahrungseisen. Es gibt aber auch fördernde Faktoren, zum Beispiel Vitamin C. Mit der gleichen Mahlzeit aufgenommenes Vitamin C verbessert die Bioverfügbarkeit von Nahrungseisen aus pflanzlichen Lebensmitteln. Auch ist die Bioverfügbarkeit der enthaltenen Mineralstoffe und Vitamine aus „kleineren“ Mahlzeiten im Verhältnis höher als aus sehr großen Portionen.

Fermentation, Einweichen und Keimen erhöht Bioverfügbarkeit

reformleben: Welche Nährstoffe werden gut, welche schlecht aufgenommen?

Günter Wagner: Das ist von Nährstoff zu Nährstoff, von Lebensmittel zu Lebensmittel unterschiedlich. Die Bioverfügbarkeit bzw. die Resorptionsquote von Kalium liegt im Durchschnitt bei 80 bis 90 Prozent, von Magnesium hingegen nur bei rund 30 Prozent, von Calcium bei 30 bis 40 Prozent – im Durchschnitt aller Lebensmittel.

reformleben: Was können wir tun, um die Aufnahme der Stoffe mit schlechter Bioverfügbarkeit zu verbessern?

Günter Wagner: Wir können im Rahmen der Mahlzeitenzubereitung und der Lebensmittelkombination die fördernden Faktoren verstärkt einsetzen und gleichzeitig die hemmenden Faktoren reduzieren. So verringert Phytinsäure, die reichlich in pflanzlicher Nahrung (z. B. Hülsenfrüchte, Vollkorncerealien, Samen, Nüsse) enthalten ist, die Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen wie Calcium, Eisen und Zink. Eine Möglichkeit, den Phytinsäuregehalt in Speisen zu reduzieren und somit die Bioverfügbarkeit zu verbessern, ist unter anderem die Fermentation (z. B. langsames Aufgehenlassen von Vollkornbrotteig) oder das Einweichen und Keimen von Hülsenfrüchten.

Hohe Bioverfügbarkeit von Mineralstoffen in Mineralwasser

reformleben: Wie gut ist eigentlich die Mineralstoffaufnahme aus Mineralwasser?

Günter Wagner: Die Bioverfügbarkeit der Mineralstoffe aus Mineralwasser ist ausgesprochen hoch. Diese liegt bei über 90 Prozent. Die Mineralstoffe liegen hier in einer biologisch sehr gut vom Menschen verwertbaren Form vor.

Bei dauerhafter Ergänzung auf Zufuhrempfehlung achten

reformleben: Nahrungsergänzungsmittel enthalten oft mehr als 100 Prozent des Tagesbedarfs an bestimmten Nährstoffen. Ist das sinnvoll?

Günter Wagner: Es kommt auf das Ernährungsziel an. Soll ein bestehendes Defizit ausgeglichen werden, kann es sinnvoll sein, höherdosierte Mono-Präparate einzunehmen, die dem Körper mehr als die tägliche Zufuhrempfehlung liefern. Dieses wäre zum Beispiel bei einem Ausgleich eines festgestellten Eisendefizits der Fall. Soll jedoch, wie die Bezeichnung Nahrungsergänzung es ausdrückt, die Nahrung lediglich ergänzt werden, zum Beispiel bei Unsicherheit, ob die Ernährung alle Nährstoffe in ausreichender Menge enthält (Auslandsaufenthalt, vegane Ernährungsweise) oder in Phasen einer hypokalorischen Ernährung (Diät), macht es Sinn, Präparate zu wählen, die eine Dosierung analog der Tages-Zufuhrempfehlungen aufweisen.